Der Postbeamte von Straßburg

KAISER_WILHELM_2Straßburg im Februar 1913. Die Stadt blüht von einem Tag auf den anderen auf. An jedem Mast, von jedem Fenster wehen die Fahnen des Deutschen Reichs. Die ganze Stadt ist in heller Aufregung, denn der Kaiser selbst, Seine Majestät Kaiser Wilhelm II., will die Stadt besuchen. Der Herrscher ist im Volk beliebt, hatte er sich doch in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts für die Armen stark gemacht. Außerdem macht er eine blendende Figur – die Italiener mit ihrer Vorliebe für die Bella Figura müssten ihn eigentlich lieben. Er redet mit Feuer. Auch wenn das in der Welt nicht immer gut ankommt. Die Deutschen lieben ihren Kaiser. Dem Herrscher voraus eilt die Aufregung. Die Konditoren schmücken ihre Auslagen mit den Insignien des Reiches. Die Gärtner binden Kränze. Die guten Bürger eilen zum Coiffeur, um sich den Kaiser-Wilhelm-Bart zwirbeln und mit Pomade haltbar machen zu lassen. Die Hemden werden frisch gestärkt und gebügelt. Unter den warmen Mänteln wird der Sonntagsstaat angezogen. Und das Gefolge zeigt an, dass der erste Mann im Staate bald da sein wird.

18.000 Mann aller Truppengattungen marschieren auf und paradieren seit dem frühen Morgen. Aufgeschreckt hatte die Stadt ein Telegramm, das ein Postbeamter im Gouvernement am Morgen abgeben hatte, mit dem Inhalt: „Kaiser Wilhelm trifft heute gegen 12 Uhr im Automobil ein.“ Da solle jemand sagen, die Straßburger seien nicht schnell. In wenigen Stunden ist die Stadt im Ausnahmezustand. Die Bärte sind gerichtet, die Truppen stehen Spalier und die Masse braucht gar kein „Warm up“, um begeistert zu sein. Wenn man wartet, dann dauern die Minuten doppelt so lang. Um 12 Uhr ist der Kaiser nicht da. Die Menge denkt sich nichts. Um 13 beginnen die ersten zu frieren. Der Kaiser ist immer noch nicht da. Um 14 Uhr forscht der Gouverneur nach, wo der Kaiser denn bliebe. Und siehe da: Niemand weiß überhaupt etwas von dem anstehenden Besuch. In Berlin heißt es sogar, Seine Majestät halte sich am anderen Ende des Reiches auf – in Königsberg.

Der Traum ist zu Ende. Die Menschen gehen kopfschüttelnd nach Hause. Die Diskussion beginnt. Wie konnte das kommen? Wer war der Postbeamte? Die Polizei untersucht den Fall und klärt die Sache rasch auf. Die Meldung verbreitet sich durch das ganze Land. Deutschland lacht, denn man ist einer Köpenickiade zum Opfer gefallen. Der Soldat August Wolter war derjenige, der eine ganze Stadt an der Nase herumgeführt hatte. Er war Soldat und wurde für unzurechnungsfähig erklärt. Um das Gegenteil zu beweisen, verschaffte sich Wolter eine Postuniform und überbrachte das Telegramm. Übrigens auch der Kaiser soll über diesen Ulk herzlich gelacht haben. Im Gegensatz zum „Hauptmann von Köpenick“ wurde die Begebenheit (nach unserem Kenntnisstand) leider noch nicht in Szene gesetzt. Aber was nicht ist, kann noch werden.

2 Kommentare

  1. „Außerdem macht er eine blendende Figur – die Italiener mit ihrer Vorliebe für die Bella Figura müssten ihn eigentlich lieben. “

    Mir ist nicht klar, was Straßburg mit Italien zu tun hat…

  2. Stefan Meyer · · Antworten

    @rkanert. In dem Beitrag wurde ja kein Zusammenhang hergestellt. ich sehe das nur als eine ironisierende Nebenbemerkung an, weil Wilhelm II. ja sonst eher als säbelrasselnd dargestellt wird. Wilhelm und Bella Figura. ich musste schmunzeln 🙂

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